Definition – Haushaltsführungsschaden
Ein Haushaltsführungsschaden entsteht, wenn jemand durch einen Unfall oder eine andere Verletzung nicht mehr in der Lage ist, seinen Haushalt so zu führen wie vorher – also zum Beispiel nicht mehr kochen, putzen, einkaufen, waschen oder Kinder betreuen kann.
Der Schaden besteht darin, dass diese Arbeiten entweder von anderen erledigt werden müssen (zum Beispiel durch eine bezahlte Haushaltshilfe oder Familienmitglieder) oder dass der Betroffene zusätzliche Zeit oder Mühe aufwenden muss, um den Haushalt eingeschränkt weiterzuführen.
Weil die Haushaltsführung eine wirtschaftlich messbare Leistung ist, gilt der Verlust oder die Einschränkung dieser Fähigkeit rechtlich als Vermögensschaden. Der Betroffene kann deshalb vom Schädiger oder dessen Versicherung Ersatz verlangen – auch dann, wenn er keine fremde Hilfe bezahlt, sondern der Schaden fiktiv (also rechnerisch) geschätzt wird.
Zentrale Rechtsgrundlagen
Der Anspruch auf Ersatz des Haushaltsführungsschadens folgt aus §§ 842, 843 BGB (Haushaltsführung als Teil der Minderung der Erwerbsfähigkeit) und wird regelmäßig entweder durch tatsächlichen Ersatzaufwand (Kosten für tatsächlich beschäftigte Hilfskraft) oder fiktive/normative Berechnung (Schätzung nach § 287 ZPO; „fiktive Ersatzkraft“) bemessen.
Wesentliche Grundsätze
- Zwei Wege der Bemessung — realer vs. fiktiver Ersatz
- Ist der Geschädigte tatsächlich auf Hilfe angewiesen (z. B. bezahlte Haushaltshilfe), sind die objektiv angefallenen Kosten ersatzfähig. Alternativ ist eine fiktive Berechnung möglich, wenn keine tauglichen Rechnungsbelege vorliegen. Entscheidend ist, dass der Schaden in seiner konkreten Ausprägung (Art, Umfang, Dauer) dargetan wird.
- Schätzung nach § 287 ZPO: Maßstab und Nachvollziehbarkeit
- Bei fiktiver Berechnung hat das Gericht den Schaden schlüssig und nachvollziehbar zu schätzen; die Bemessung muss sich an den Kosten orientieren, die für eine fiktive Ersatzkraft zu zahlen wären. Die Schätzung ist nicht beliebig — sie muss Stundenumfang, Haushaltgröße, typische Tätigkeiten und Dauer berücksichtigen.
- Mindestlohn als Untergrenze für den Bruttostundensatz
- Der BGH hat klargestellt, dass der zum schadensrelevanten Zeitpunkt geltende gesetzliche Mindestlohn die Untergrenze für den bei der fiktiven Berechnung zu unterstellenden Bruttolohn bildet; davon ist sodann auf den maßgeblichen Nettolohn für die Schadensschätzung abzustellen. Damit wird ein unrealistisch niedriger Stundensatz (unter Mindestlohn) ausgeschlossen.
- Umrechnung Brutto → Netto / Abzug von Sozialabgaben
- Bei der Umrechnung des (fiktiven) Bruttolohns in den für den Geschädigten relevanten Nettolohn sind steuer-/sozialversicherungsähnliche Abzüge zu beachten; außerdem sind Arbeitgeber-Nebenkosten nur insoweit zu berücksichtigen, wie sie typischerweise bei einer externen Ersatzkraft anfallen. Die BGH-Lehre verlangt Transparenz und Plausibilität in diesen Umrechnungen.
- Dauer und Haushaltsumfang: Darlegungslast des Klägers
- Für die gerichtliche Geltendmachung muss der Kläger die Größe des Haushalts, die ausfallenden Tätigkeiten (z. B. Kinderbetreuung, Reinigung, Einkäufe), die wöchentliche Stundenzahl und die zeitliche Dauer angeben; pauschale Angaben genügen nicht ohne weiteres. Das Gericht nutzt diese Angaben für die Schätzung.
- Pflicht zur Schadensminderung / „Umorganisation“
- Vor dem Anspruch steht die Prüfungsfrage, ob eine zumutbare Umorganisation des Haushalts möglich war (z. B. Vermehrung von Eigenleistungen anderer Haushaltsangehöriger, vorübergehende Hilfen). Unter bestimmten Umständen schmälert dies den ersatzfähigen Umfang; zugleich ist die Zumutbarkeit der Umorganisation objektiv zu bewerten.
- Keine geschlechtsbezogene Benachteiligung
- Die BGH-Rechtsprechung behandelt die Haushaltsführung unabhängig vom Geschlecht; die Bemessung orientiert sich an objektivierbaren Haushaltsaufgaben und ‑umfang, nicht an traditionellen Rollenvorstellungen.
- Rente vs. einmaliger Ausgleich
- Wird eine dauerhafte Minderfähigkeit der Haushaltsführung festgestellt, kann Ersatz als Rentenanspruch (Haushaltsführungsrente) erfolgen; bei vorübergehenden Einschränkungen kommt eine einmalige Abgeltung in Betracht. Die BGH-Entscheidungen klären, unter welchen Umständen eine Rente zu bejahen ist (z. B. dauerhafte vs. vorübergehende Beeinträchtigung).
Kernfälle / maßgebliche Entscheidungen (Auswahl)
- BGH, U. v. 05.11.2024 — VI ZR 12/24: Leitentscheidung zur fiktiven Berechnung (Schätzung nach § 287 ZPO) und Feststellung, dass der gesetzliche Mindestlohn Untergrenze des Bruttolohns sein soll; ausführliche Vorgaben zu Begründung und Nachvollziehbarkeit der Schätzung.
- BGH, U. v. 22.05.2012 — VI ZR 157/11: Erläuterung zu Darlegungsanforderungen (Haushaltsumfang, Tätigkeiten, Dauer) und Unterscheidung realer vs. fiktiver Berechnung.
- BGH, U. v. 03.02.2009 — VI ZR 183/08: Frühere Feststellungen zur Ersetzbarkeit von Haushaltsführung (als Teil der Erwerbsminderung) und Anforderungen an Schätzungen.
- BGH, Versch. Beschlüsse 2016–2022 (z. B. VI ZR 116/16; VI ZR 937/20): Konkretisierungen zur Rentenberechnung, Mitwirkungspflichten des Geschädigten und Abgrenzung von mitversicherten/privaten Leistungen.
Rechtsanwalt Peter Baer, LL.M.
Oktober 2025
